In den letzen 12 Jahren änderte sich nicht nur wie wir Fotos machen, sondern auch warum wir Fotos machen. Weshalb das gerade für Führungskräfte und Marketing-Verantwortliche relevant ist.
Wie hast du vor zehn oder zwölf Jahren fotografiert? Wenn du zu den Early Adoptern gehört hast, dann wahrscheinlich schon mit einem iPhone, oder einem der anderen ersten Smartphones.
Aber sehr wahrscheinlich hattest du auch eine „richtige“ Kamera. Zumindest eine Pocket Cam. Denn mit den ersten Smartphones konnte man zwar auch Fotos machen, doch war das eher ein Nebenschauplatz. Qualität und Auflösung der Fotos waren halbwegs ok, aber echte Fotos machte man dann doch mit einer echten Kamera.
Diese Fotos klebte man sich in Fotoalben oder, wenn man wiederum zu den Early Adoptern gehörte, druckte online Fotobücher. Und ja, man lud die Fotos von der Kamera auf den Computer und von dort dann auf Facebook und andere gerade aufkommende soziale Netzwerke.
Dann passierten zwei entscheidende Dinge parallel und beeinflussten sich gegenseitig exponentiell:
- Social Media explodierte.
- Die Kameras in den Smartphones wurden immer besser.
Auf einmal war es spielend leicht, Fotos direkt vom Smartphone mit der ganzen Welt zu teilen. Das Handy war immer dabei. Also konnte man jederzeit Momentaufnahmen machen und diese auch mit wenigen Klicks auf soziale Medien hochladen. Heute für uns eine Selbstverständlichkeit.
Aber was passierte hier eigentlich?
Das WIE veränderte das WARUM.
Die Nutzung ändert sich völlig. Und zwar nicht nur wie wir Fotos machen, sondern vor allem auch warum wir Fotos machen. Fotos wurden nicht nicht mehr in erster Linie als Erinnerungen für einen selbst gemacht, für ein Album, sondern zum Sharen.
War das „Sharen“ im analogen Zeitalter nur ein zweitrangiger Aspekt warum man Fotos machte – wer erinnert sich nicht an die Abende die extra gefunden werden mussten, an denen man seinen Freunden die Fotos vom letzten Urlaub zeigen konnte – so kehrte sich diese Priorität nun um.
Heute drucken wir zwar auch noch Fotoalben – und die ganz Hingegebenen, wie meine Frau, kleben sie sogar noch händisch – doch ist das nur noch zweitrangig.
Heute geht es darum, sich darzustellen. Der Welt zu zeigen, wer man ist und was man erlebt. Ich sage nur: Food Porn. Von Selfies ganz zu schweigen.
Bereits 2017 wurden 1,2 Trillionen digitale Fotos weltweit gemacht, davon 85% mit dem Smartphone. 2011 waren es noch 27%. Im selben Jahr überholte das iPhone übrigens erstmals klassische Kameras als #1 Shooting Device auf Flickr.
Aber warum war diese Revolution überhaupt möglich? Und vor allem: Was können wir daraus lernen?
1. Wir unterschätzen, wie änderbar für unabänderbar gehaltene Paradigmen sein können.
Ein Paradigma vor der Smartphone-Kamera-Revolution war etwa: Solange eine Kamera keinen Zoom hat, ist sie keine echte Kamera und wird auch nicht als „Hauptkamera“ genutzt werden. Falsch!
Wenn es andere Vorteile gibt, die für den Konsumenten entscheidender sind, wird er hier Abstriche machen. Im Fall der Smartphones war es bei weitem wichtiger, das Gerät immer dabei zu haben, als einen Zoom. Der Durchschnitts-Konsument braucht nicht unbedingt einen Zoom, auch wenn das damals keiner glauben wollte.
Inzwischen sind Smartphone Kameras ohnehin hochwertiger als früher Pocket Cams- und haben sogar optischen Zoom wie beim iPhone 11 Pro.
2. Wir sortieren neue Technologien zu einfach ein.
„The smartphone, in its nature, is a device that is not for photography. It’s a device that is for communication.“ wie es in einem TIME Artikel treffend formuliert wird.
Auf den ersten Blick war die Ankunft des iPhones also keine Bedrohung für die klassische Kamera-Industrie. Doch gerade weil das Smartphone ein Communications-Device ist, war es so disruptiv. Denn plötzlich konnte man die aufgenommenen Bilder mit wenigen Klicks auf diversen Plattformen teilen.
Das erste iPhone hatte gerade einmal 2 Megapixel Auflösung. Doch ging es eben nicht nur darum, mit welcher Kamera Fotos aufgenommen wurden, sondern, auf welcher Platform sie angesehen wurden und mit welchen Devices.
Nämlich ebenfalls auf Smartphones! Und dort ist die Pixel Qualität nicht wichtig. Wie es James Bareham in einem The Verge Artikel formuliert: „At 1024 x 1024 pixels, who can really tell whether a photo was taken on an iPhone or a Canon 5D? More to the point, who cares?“
Die niedrige Auflösung war also plötzlich kein großes Problem mehr, weil sich die Plattform, auf der Fotos konsumiert wurden, geändert hatte.
3. Wir denken zu linear.
Man muss sich immer bewusst sein: Technologien beeinflussen sich gegenseitig, und in manchen Fällen tun sie das exponentiell.
Ohne Social Media wäre die Nutzung von Kameras heute eine andere. Aber Social Media würde es auch in dieser Form nicht geben, wäre nicht zeitgleich das Smartphone geboren worden.
Wir denken oft viel zu eindimensional und zu linear. Wir bedenken nicht, dass sich auch andere Rahmenbedingungen ändern könnten, die auf den ersten Blick gar nichts mit unserem Unternehmen oder Produkt zu tun haben. Doch die Welt ist heute viel zu komplex, als dass wir uns eine Eindimensionale Sicht auf unser Produkt oder Unternehmen leisten könnten.
Unternehmen, Marketing-Experten und Führungskräfte können aus diesen Erkenntnissen wichtige Learnings mitnehmen:
„The Bigger Picture“ sehen
Wir müssen unsere Umgebung laufend beobachten, analysieren und vernetzt denken. Was tut sich in Politik, in Wirtschaft, in Religion, in …? Und natürlich: Was tut sich im Technologiesektor?
Auch wenn mittlerweile Artificial Intelligence oder Augmented Reality zu Buzzwords geworden sind, sind nicht nur diese Technologien und ihre zukünftigen Auswirkungen bei uns in Europa noch weit unterschätzt. Wir müssen viel mehr im Big Picture denken. Solange wir nicht das große Ganze im Blick haben, laufen wir Gefahr sehr schnell obsolet zu werden.
Keine zu schnellen Schlüsse ziehen
Wir müssen in der heutigen Zeit unglaublich schnell Entscheidungen treffen, das betrifft insbesondere Führungskräfte. Doch dürfen wir dabei keine einfachen Schlüsse ziehen.
Wir dürfen neue Technologien nicht zu schnell in Schubladen stecken. Wir müssen Paradigmen hinterfragen. Wir müssen neue Ansätze finden. Wir müssen Out of the Box denken, wie man so schön sagt.
Die richtigen Konstellationen erkennen
Wir müssen strategisch kluge Entscheidungen treffen, und dazu gehört heute ganz besonders, das richtige Timing. Steve Jobs war ein Meister darin. Jahrelang wartete alles darauf, dass Apple in den Handymarkt einsteigen würde. Doch Apple ließ sich Zeit. Als es 2007 dann vorgestellt wurde, war der Zeitpunkt für das iPhone der genau Richtige.
Alle Rahmenbedingungen waren gesetzt. Die Touch Technologie war ausgereift, anders als beim unglücklichen Apple Newton Jahre zuvor. Hätte Apple noch viel länger gewartet, wäre es aber zu spät gewesen, andere Hersteller hätten Apple wohl überholt. Apple ist unter anderem genau deshalb so erfolgreich, weil sie immer wieder den richtigen strategischen Zeitpunkt finden, wann Technologie und Markt in der richtigen Konstellation zueinander stehen.
Fazit: Es besser machen als Cisco
Wie wichtig es ist, diese Dinge zu beachten, hat (leider) Cisco vorgezeigt: 2009, also zwei Jahre nach der Vorstellung des ersten iPhones, übernahm das Unternehmen „Pure Digital Technoloies“, den Hersteller der damals extrem populären Flip Cameras. Manche erinnern sich: Das waren die trendigen digitalen Kameras, deren USB Anschluss man „ausflippen“ konnte.
Nur 2 Jahre später stellte Cisco das Produkt ein. Offensichtlich hatte Cisco die Situation strategisch völlig falsch eingeschätzt. Denn Flip Cameras hatten einen entscheidenden Nachteil: Ironischerweise ihr Namens-gebendes Feature. Fotos konnte man von Flip Cameras nämlich nur via USB übertragen, sie waren kein Internet Device. Gegen ein Smartphone, mit dem ich das aufgenommen Foto sofort ansehen und mit der Welt teilen kann, also ein dummes Gerät. Und wozu sollte jemand zwei Geräte kaufen, wenn er nur eines braucht?
Eigentlich ein No-Brainer. Im Nachhinein erst recht. Doch offensichtlich hatten die Führungskräfte von Cisco nicht das Denken eines Steve Jobs. Es geht bei strategischen Entscheidungen eben nicht nur um das Wie. Sondern vor allem um das Warum.